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Familiaere Dysautonomie – eine Generkrankung unter ashkenasischen Juden

Das „Center of Familial Dysautonomia“ im Hadassah-Krankenhaus auf dem Skopusberg (Har haZofim) in Jerusalem ist eines von nur zwei Zentren weltweit, die sich der Behandlung der seltenen vererbbaren Generkrankung F.D. widmet. In New York befindet sich das zweite Zentrum. Die Erkrankung – auch als Riley-Day-Syndrome bekannt, nach den Entdeckern der Krankheit Riley und Day in 1949 – ist autosomal rezessiv vererbbar und betrifft fast ausschließlich ashkenasische Juden…

Von Noa Assmann, Jerusalem

Sind beide Eltern Träger der Krankheit, ergibt sich eine 25 %ige Möglichkeit, dass das gemeinsame Kind erkrankt. Jeder 30. ashkenasische Jude ist Träger der Krankheit.

Auch Eltern, die bereits mehrere gesunde Kinder bekommen haben, tragen das Risiko, dass beim nächsten Kind ihre „nicht gesunden Gene“ aufeinander treffen, und ein krankes Kind zur Welt gebracht wird.
Etwa 350 Erkankte leben verteilt in Israel und den USA, wenige in Europa, wobei die Dunkelziffer wesentlich höher sein dürfte, da die meisten Menschen noch nie etwas von dieser Krankheit gehört haben und erst nach einigen Jahren des „Rätselratens“ an Ärzte geraten, die von der Krankheit wissen.

Die Erkrankung betrifft vorwiegend und unter anderem das Autonome Nervensystem, also das System unseres Körpers, das nicht dem Willen unterworfen ist. (Blutdruck, Puls, etc)
Extreme Blutdruckschwankungen von wesentlich zu hohem Blutdruck bis zu niedrigem Blutdruck innerhalb kürzester Zeit, sowie fehlende Tränenflüssigkeit und die nicht bestehende Koordination des Verdauungssystems sind Hauptmerkmale dieser Erkrankung, aber keinesfalls die einzigen. Hinzu kommen häufig das Fehlen von Heiß-und Kalt-, sowie Schmerzempfinden, was logischerweise immense Gefahren mit sich bringt, Kleinwuchs und Unter-bzw. Spätentwicklung, sowie Sprachschwierigkeiten, Wirbelsäulenverkrümmungen und nicht regelrechter Gang. Die Intelligenz ist so gut wie nie betroffen.

Prof. Dr. Maayan, die Leiterin des Jerusalemer Zentrums weiß aus ihrer jahrzehntelangen Erfahrung mit Betroffenen zu berichten, dass jeder Erkrankte andere hervorstechende Symptome aufweist. Bei den meisten wird aber wegen der großen Schwierigkeiten beim Schlucken von Nahrung – häufig schon kurz nach der Geburt – eine Art „äußerer Zugang zum Magen“ operativ hergestellt, mit der sogenannten „Gastrostomie“. Auf diese Weise kann das komplizierte obere Verdauungssystem, was bei den Betroffenen über keinerlei Koordination verfügt, umgangen werden.
Es soll u.a. vermieden werden, dass die Erkrankten Nahrung in die Lunge aspirieren, was zu häufigen Lungenentzündungen führen würde.
Die Nahrung wird dann vorwiegend, oder ausschließlich durch diesen Zugang verabreicht.

Erkrankte Dysautonomie-Patienten neigen dazu, sich unverhältnismäßig oft zu verschlucken, was in vielen Fällen eines der ersten Merkmale ist, die den Eltern eines erkrankten Kindes nach der Geburt auffällt. Das Kind nimmt nicht zu und entwickelt sich nur verzögert. Häufiges minuten-oder stundenlanges Erbrechen ist keine Seltenheit und sorgt – solange die Diagnose noch nicht gestellt wurde – für einen Ärztemarathon und häufige Krankenhausaufenthalte, da die meisten Mediziner, besonders in Europa, sich mit der sehr seltenen Krankheit nicht auskennen.
Die Eltern sind verzweifelt und hilflos, weil keine Behandlung die heftigen Anfälle zu beeinflussen scheint.

Ist die Diagnose – durch einen einfachen Gentest (Bluttest)– erst einmal gestellt, besteht zwar keine Aussicht auf endgültige Heilung, jedoch kann die Lebensqualität durch Einwirken vieler Faktoren erheblich verbessert werden.
Ein weiteres auffälliges Symptom ist das Fehlen von Tränen. Die Kinder weinen „tränenlos“.
Das Fehlen von Tränenflüssigkeit erfordert die äußerliche regelmäßige, mehrfach am Tag zu verabreichende Gabe von „Augentropfen“, sogen. künstliche Tränen, um das Auge vor Austrocknung zu bewahren. Im schlimmsten Falle kann die Erkrankung zur Erblindung führen, da Fremdkörper, die ins Auge dringen, aufgrund der fehlenden Schmerzempfindlichkeit nicht bemerkt werden und so das Auge schädigen können.
Bei vielen Patienten liegt eine erhebliche Verkrümmung der Wirbelsäule vor.

„Einige unserer Patienten sitzen irgendwann im Laufe ihres Lebens im Rollstuhl“ berichtet Dr. Maayan, „aber es gibt auch leichtere Fälle der Erkankung.“
Sie berichtet über liebevolle Hingabe der Eltern und über Eltern, die nach der Diagnose ihr Kind einfach im Krankenhaus ließen, aus Angst, nicht mit der schwierigen Aufgabe fertig zu werden.
„Es gibt alles im Zusammenhang mit der schweren Erkrankung,“ so Dr. Maayan, „Eltern, die nach 5 gesunden Kindern plötzlich ein an Dysautonomie erkranktes Kind bekamen und bis dahin nicht einmal ahnten, dass sie selbst Träger der Krankheit sind und Paare, die sich vor der Hochzeit testen lassen, da sie von der Existenz der Krankheit Kenntnis haben.
Es gibt orthodoxe Paare, die bewusst ein erkranktes Kind adoptieren und sich liebevoll unter Einsatz all ihrer Kräfte der Pflege widmen und Eltern, die die Sorge um ihr Kind regelrecht auffrisst. Es ist äußerst wichtig, wie ernsthaft Eltern unsere Empfehlungen für den Alltag nehmen, denn häufig hängt davon die Verbesserung der Lebensqualität und die Überlebenschance des Kindes ab. Die Verabreichung von Sauerstoff, die Gabe von Augentropfen und das aufmerksame Beobachten der Blutdruckwerte sind nur ein paar der lebenswichtigen Umgehensweisen. Aber Vorwürfe kann man den Eltern fast nie machen. Sie geben ihr Bestes, und sind durch ein erkranktes Kind enorm belastet.“

Naama, die Krankenschwester des multifunktionalen Teams, berichtet darüber, wie stark der Wunsch der meisten Heranwachsenden chronisch Kranken nach einem Partner ist. „Es ist traurig, mit anzusehen, wie häufig manche unserer Kranken weder einen guten Freund, noch Lebenspartner finden. Andererseits gibt es einige, die sogar glücklich verheiratet sind und Kinder haben!“ strahlt sie.

„Da es zurzeit noch keine Heilung gibt, liegt unser Hauptaugenmerk auf der Früherkennung der Träger und darauf, dass in Zukunft möglichst viele ashkenasische Juden Kenntnis von der Krankheit haben,“ so Prof. Dr. Maayan, „Die Organisation Dor Jesharim, deren Zentrum in Brooklyn, New York sitzt, bietet ein Screening für familiäre Dysautonomie, sowie die vererbbaren Krankheiten Tay-Sachs und Cystic fibrosis an. Zweigstellen der Organisation, deren Begründer 1980 Rabbi Joseph Ekstein war, der zwei Kinder an die Krankheit Tay-Sachs verloren hat, gibt es in Israel, sowie in einigen anderen Ländern. Ein einfacher Histamin-Test gibt uns aber bereits Aufschluss auf die Krankheit und ist schnell und schmerzlos zu machen.“ (http://www.familialdysautonomia.org/).

Fällt der Histamin-test negativ aus, heißt das aber noch nicht, dass man kein Träger der Krankheit ist. Ein positiver Test jedoch sollte weitere Bluttests nach sich ziehen.
„Immer wichtiger wird es uns, dass die jüdische Bevölkerung (ashkenasische Juden) weiß, dass es diese Krankheit gibt und dass man sich zur Sicherheit testen lassen kann. Das verhindert Überraschungen bei der Geburt des Kindes, wenn plötzlich schwere Symptome auftauchen, die nicht zugeordnet werden können. Leider gibt es auch bei uns in Israel immer wieder Eltern, die die Krankheit geheim halten wollen, aus falsch verstandener Scham. Nicht selten wird dann der Rest der Familie gar nicht erst über die Krankheit informiert oder darüber aufgeklärt, dass die Familie belastet ist. Solch ein Verhalten nimmt den Verwandten die Chance, selbst darüber zu entscheiden, inwieweit man sich testen lässt oder bestehenden Kinderwunsch überdenkt. Es ist nicht sehr verantwortungsvoll.“
Dr. Maayan steht in Israel mit vielen der behandelnden Ärzte in Kontakt und unternimmt in Sachen „Dysautonomie“ häufige Auslandsreisen.

„Erkrankte aus Europa kommen auch häufig zu uns nach Jerusalem, weil sie und ihre Eltern sich bei uns am besten beraten fühlen. Wir stehen aber den behandelnden Ärzten jederzeit mit unserer Erfahrung zur Seite, so dass sie vor Ort im Ausland auch optimale Behandlung erfahren können, so Dr. Maayan, „mindestens ein-bis zweimal im Jahr wird jeder Kranke aus Israel (auf Wunsch auch aus dem Ausland) hier vorstellig, um von unserem Team, das aus Ärzten, Krankenschwestern, Sozialarbeitern und Physiotherapeuten besteht, begutachtet zu werden.“
Aufklärung und Wissen über die Existenz der Krankheit ist sicher der erste Schritt hin zu einer schnelleren Diagnose im Falle von unklaren Symptomen bei Neugeborenen. Ashkenasische Juden ,die wissen wollen, ob sie Träger der Krankheit sind, können sich anonym testen lassen.

http://www.hadassah.org.il

Einen Film zum Thema gibt es bei haGalil.com

http://www.modernlab.org/doryeshirum.html

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