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Fromms Psychoanalyse: Der Mensch als Beziehungswesen

Misst man die Bekanntheit eines Autors an der Verbreitung seines Schrifttums, dann ist Erich Fromm nach Sigmund Freud und Carl Gustav Jung sicher der weltweit bekannteste Psychoanalytiker. Und doch ist seine Theorie und Praxis der Psychoanalyse gerade im deutschen Sprachraum nicht nur weitgehend unbekannt, sondern auch bedeutungslos geblieben…

Rainer Funk *

Nicht wenige neigten und neigen noch immer dazu, den am Berliner Karl-Abraham-Institut Ausgebildeten gar den Anspruch streitig zu machen, ein Psychoanalytiker zu sein. Dabei war Erich Fromm der erste Psychoanalytiker, der den Menschen als Beziehungswesen ernst nahm und damit etwas vorwegnahm, was heute psychoanalytisches und psychotherapeutisches Allgemeingut geworden ist.

Jahrzehnte früher, als Bindungsforschung und intersubjektive Psychoanalyse davon sprachen, sah Fromm bereits in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts das Bezogensein des Menschen auf die Wirklichkeit und auf sich selbst als das Kernproblem psychischer Strukturbildung an. Auch die Ausbildung triebhaft erlebter psychischer Strebungen ist für ihn weitgehend das Ergebnis der Internalisierung von Bezogenheitserfahrungen. Entsprechend orientieren sich psychoanalytische Theoriebildung und therapeutische Techniken in erster Linie an Erfahrungen des Bezogenseins in der aktuellen therapeutischen Beziehung und in der Aufdeckung unbewusst wirkender, behindernder und konfliktträchtiger Bezogenheitserfahrungen aus der Geschichte eines Menschen.

Und noch etwas verband der promovierte Soziologe Fromm von Anfang an mit seinem bezogenheitstheoretischen (relationalen) Ansatz: Anders als die interpersonelle Psychoanalyse, wie sie Harry Stack Sullivan entwickelte, sah Fromm den Einzelnen schon immer durch ein gesellschaftliches Bezogensein geprägt. Dieses manifestiert sich in den Bezugspersonen (als den Vermittlern gesellschaftlich geforderter Bezogenheitsmuster) und in deren Art, Bezogensein zu praktizieren. Das Individuum ist für Fromm deshalb ein primär soziales Wesen und die Interaktionen zwischen Individuen sind immer auch von gesellschaftlichen Tabus und Erfordernissen geprägt. Entsprechend anders als bei Freud ist denn auch Fromms Verhältnisbestimmung von Individuum und Gesellschaft bzw. Kultur.

Tatsächlich waren diese beiden Besonderheiten des psychoanalytischen Ansatzes von Fromm die wichtigsten Gründe, warum er vom Mainstream der Psychoanalyse ignoriert wurde. Bereits in den 30er Jahren war er wegen seiner jüdischen Abstammung aus der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung ausgeschlossen worden. Später hatte er wegen seines »unorthodoxen« Ansatzes keine Chance, wieder ihr Mitglied zu werden. Als unverbrüchlich zu ihr gehörend hielt die Psychoanalyse an einer bestimmten Triebtheorie sowie an einem Menschenbild fest, das den Einzelnen als primär unsozial ansah. Nicht, dass Fromm die Irrationalität und Triebhaftigkeit psychischer Streben nicht als die eigentliche Herausforderungen von Theorie und Praxis der Psychoanalyse ansah. Dem triebhaften Erleben muss jedoch keine wie auch immer geartete instinktive Ausstattung entsprechen. Ebenso erkannte Fromm im Narzissmus die Hauptursache für eine entstellte Selbst- und Wirklichkeitswahrnehmung, ohne den Narzissmus zur Ausgangssituation des Menschen zu erklären. Fromm hatte ganz im Gegenteil mit seiner Theorie einer angeborenen Potenz zur Liebesfähigkeit und seinem Konzept der Selbstliebe und des Selbstinteresses bereits Ende der 30er Jahre jene Elemente einer Selbsttheorie ausformuliert, die Jahrzehnte später durch die Säuglingsforschung, die Entdeckung der Spiegelneuronen und die Empathieforschung empirisch bestätigt wurden.

Das gerade erschienene Buch „Was den Menschen antreibt: Psychoanalyse als Theorie und Praxis von Beziehung“ will mit der psychoanalytischen Theorie und Therapie Erich Fromms bekannt machen und, 30 Jahre nach seinem Tod, eine längst überfällige Rezeption befördern. Vielleicht können die hier zusammen getragenen Beiträge auch zu der ebenfalls seit Langem ausstehenden Rehabilitierung dieses ungemein produktiven Psychoanalytikers beitragen.

Fromm fühlte sich zeitlebens auf dem Boden der Freud’schen Psychoanalyse stehend. Er hielt zahllose Vorträge über die Bedeutung Freuds und seiner Psychoanalyse und musste schmunzeln, wenn er in der Diskussion danach mit »Herr Freud« statt mit »Herr Fromm« angesprochen wurde. Wenn immer sich Fromm anschickte, über ein neues Thema zu schreiben, arbeitete er die diesbezüglichen Arbeiten bei Freud durch (wie zahllose Exzerpte in seinem Nachlass belegen), um dann erst seine eigenen Gedanken zu Papier zu bringen. Mit beißender Kritik wandte er sich in dem Beitrag »Die Krise der Psychoanalyse« (1970c) gegen die Ich-Psychologen, weil sie die Haupterkenntnis Freuds verkennen würden, nämlich wie sehr der Mensch durch die Irrationalität unbewusster Leidenschaften bestimmt sei. Auch sah er sich veranlasst zu betonen, wie wenig ihn mit der Humanistischen Psychologie verbinde und wie sehr er sich als humanistischer Psychoanalytiker verstünde.

Dass Fromm in der eigenen Zunft so sehr vergessen werden konnte, muss ihm aber auch zum Teil selbst angelastet werden. Es ist nicht nur die von Fromm in seinem Buch Sigmund Freud. Seine Persönlichkeit und seine Wirkung (1959a) beklagte Dogmatisierung der Psychoanalyse und deren ekklesial organisierte Bewegung, die einem Vor- und Querdenker kein Bleiberecht und Wirkungsfeld innerhalb der psychoanalytischen Gemeinschaft gewährte.

Fromm hatte sich Mitte der 60er Jahren vorgenommen, ein vierbändiges Werk zu seinem Verständnis von Psychoanalyse in Theorie und Praxis zu schreiben, aber abgesehenen von einigen Bruchstücken, die Eingang in die vorliegende Sammlung gefunden haben, hat er sich dann lieber ganz der Aggressionsfrage zugewandt und bis 1973 an dem Band Anatomie der menschlichen Destruktivität geschrieben. Sein erster Versuch, seinen psychoanalytischen Ansatz beim sozialen Bezogensein des Menschen zu begründen, wurde 1937 als Gegenentwurf zu einer an der Triebtheorie orientierten Psychoanalyse weitgehend ausformuliert. Nachdem er jedoch von den Kollegen des Instituts für Sozialforschung kritisiert und eine Veröffentlichung in der Zeitschrift für Sozialforschung abgelehnt wurde, bemühte Fromm sich nicht mehr um seine Veröffentlichung. Der Beitrag blieb verschollen, bis ich ihn 1990 in einem Teil des Fromm’schen Nachlasses, der an der New York Public Library untergebracht ist, wiederentdeckte.

Erst kurz vor seinem Tod erschien 1979 der Band Sigmund Freuds Psychoanalyse – Größe und Grenzen, in dem Fromm im Einzelnen zeigt, was er Freud verdankt und worin die Entdeckungen Freuds bleibende Bedeutung haben, aber auch, was seiner Meinung nach an den Freud’schen Theorien zeitgebunden und revisionsbedürftig ist. Eine Veröffentlichung zu seiner therapeutischen Praxis, wie er sie in den von ihm mitbegründeten Instituten, dem William Alanson White Institute in New York und dem Mexikanischen Psychoanalytischen Institut, praktizierte, blieb er schuldig.

Das Fehlen einer Veröffentlichung zu seiner eigenen therapeutischen Praxis erklärt auch, warum er in der immer mehr auf ihre therapeutische Anwendung reduzierten Psychoanalyse so wenig rezipiert wurde.

Es ist vor allem dem Engagement von Verleger Hans-Jürgen Wirth zu verdanken, dass dieser Band zustande kam und die Beiträge Fromms zur psychoanalytischen Theorie und Praxis einem interessierten Leserkreis zugänglich gemacht werden können. Der vorliegende Band bildet mit den zwei anderen im Psychosozial Verlag erschienenen Bänden eine Trilogie zur Psychoanalyse Fromms:
Macht Was den Menschen antreibt: Psychoanalyse als Theorie und Praxis von Beziehung vor allem den anderen, nämlich psychoanalytisch-sozialpsychologischen Ansatz Fromms und seine Auswirkungen auf die Theorie und Praxis der Psychoanalyse deutlich, so führt der Band Sigmund Freuds Psychoanalyse – Größe und Grenzen (1979a) in Fromms Re-Vision der Psychoanalyse und ihrer wichtigsten Konzept ein, die in vielerlei Hinsicht höchst aktuell ist. Der Band Erich Fromm als Therapeut (R. Funk 2009) handelt von der therapeutischen Praxis Fromms: Er enthält vier Vorlesungen Fromms über seine therapeutische Technik sowie höchst spannende Einblicke in seine psychoanalytische Praxis aus Sicht seiner Schüler, die diese in Analysen, Supervisionen und im sonstigen Zusammensein mit Erich Fromm gewonnen haben.

Anm. Red.: Ein Großteil der erwähnten Beiträge wurde nicht von Erich Fromm selbst publiziert, sondern erst posthum von Rainer Funk veröffentlicht.

*) Rainer Funk in der Einleitung, als Herausgeber von Was den Menschen antreibt: Psychoanalyse als Theorie und Praxis von Beziehung.Aktuell aus dem Psychsozial Verlag

1 comment to Fromms Psychoanalyse: Der Mensch als Beziehungswesen

  • Günther Meyer

    Die neue sicht der Gesellschaft

    Es werden oft Gemeinsamkeiten im Anliegen und Denken von
    Erich Fromm und Carl Gustav Jung postuliert. Aber gerade was
    die kulturelle und gesellschaftliche Determiniertheit des Unbe-
    wußten anbelangt, unterscheidet sich Jungs Archetypenlehre
    und seine Annahme eines kollektiven Unbewußten fundamen-
    tal von Fromms Theorie des Gesellschafts-Charakters und des
    gesellschaftlichen Unbewußten. Fromm spricht von Kräften, die
    gesellschaftlich und kuturell jeweils neu und verschieden ge-
    prägt werden und über deren Bewußtheit oder Verdrängunq
    wiederum allein die jeweilige Gesellschaft und Kultur entschei-
    det. (ERICH-FROMM-LESEBUCH)