Archivsuche

Büchersuche

Archiv (chronolog.)

Dialog über Sex: Distanz gegen Intimität

Am Anfang der Psychoanalytischen Pädagogik und der Psychoanalyse stand eine heftige Kritik an der erzieherischen und sozialen Realität*. Sigmund Freud selbst formulierte diese Kritik in seinen frühen Studien zur kindlichen Sexualität überzeugend und auch sprachlich vehement. In seinem (b. Ammon, 1973) Beitrag »Dialog über Sexualität: Distanz gegen Intimität« greift Ekstein diese kritisch – aufklärerische Tradition der Psychoanalytischen Pädagogik auf…

Von Roland Kaufhold
Kap. 7. eines längeren Beitrags über Leben und Wirken des Pioniers der Psychoanalytischen Pädagogik Rudolf Ekstein (9.2.1912 – 18.3.2005)…

Hierbei knüpft er unmittelbar an einige wichtige Publikationen zur Sexualerziehung aus der Zeitschrift für psychoanalytische Pädagogik an, sowie an Siegfried Bernfelds Leitartikel dieses Sonderbandes (Heft 7–9). Einleitend formuliert Ekstein seine Verbundenheit mit Bernfeld bzw. den progressiven Impulsen der Psychoanalytischen Pädagogik, die sich seinerzeit als eine »psychoanalytische Bewegung« (Ekstein 1973b, S. 125) empfand. Er skizziert Bernfelds inspirierendes Wirken als Jugendführer und hebt hervor:

»Viele von uns, die sich damals und 1938 der Psychoanalyse anschlossen, brachten die frühe Begeisterung der neuen Erziehung mit einer neuen Art der psychoanalytischen Pädagogik in Verbindung, die einen Versuch darstellte, die Wissenschaft in die Erziehung zu tragen. Bernfelds Arbeit repräsentiert deutlich die Debatte, die damals stattfand.« (1973b, S. 125)

Ekstein zeichnet die Geschichte der Sexualaufklärung innerhalb der Pädagogik nach. Er betont die Bedeutsamkeit einer realitätsangemessenen Form der Sexualaufklärung, um doch zugleich mit Bernfeld vor einem übertriebenem Optimismus zu warnen. Er hebt hervor: »In seinem Essay goß Bernfeld kaltes Wasser auf den anfänglichen Enthusiasmus und begegnete ihm mit wissenschaftlicher Skepsis« (S. 127). Bernfeld legt in besagtem Aufsatz dar, daß eine noch so wohlmeinende Sexualaufklärung durch die kindliche Fähigkeit zur Verdrängung, in ihrer Wirksamkeit äußerst begrenzt sei. Kinder lehnen häufig »ein Stück der Aufklärung ab, weil es ihren Wünschen weniger entspricht als ihre eigene Theorie« (S. 128). Die Aufklärung erreiche deshalb fast nie das, was sie anstrebe.

»Ich möchte nicht mißverstanden werden. Ja, die Kinder sollen, so früh sie nur wollen, die Wahrheit von ihren Eltern und Erziehern erfahren. Nur soll man das nicht in der Überzeugung tun, dadurch etwas unvergleichlich Wichtiges für die Erziehung getan zu haben.« (S. 130)

Die Grenzen der Sexualerziehung sind demnach zugleich die Grenzen, die der Erzieher in sich selbst gegenüber diesem Thema hat. Das Thema der Sexualität berührt das Unbewußte – beim Kind wie beim Erwachsenen. Dieses Unbewußte tritt uns vielfach in der Form eines »Geheimnisses« (S. 132) entgegen. Die pädagogische Kunst besteht darin, dieses Geheimnis des Kindes einerseits zu respektieren, andererseits den Zeitpunkt zu finden, in dem man es in der Begegnung mit dem Kind schrittweise enthüllt. Insofern stellt der Lehrer eine Brücke her zwischen dem Nicht-Wissen und dem Wissen, der älteren Generation und der Generation der Heranwachsenden. Dieser Entwicklungsprozeß hin zu einer reiferen Sexualentwicklung erfolgt nicht so sehr auf der Ebene der rationalen Wissensvermittlung, des Sprechens, sondern in der Begegnung und Beziehung, dem gemeinsamen Handeln. Ekstein hebt aus psychoanalytischer Sicht hervor:

»Sexualität kann im Dienst primitiver Impulse des Hasses und des Zerstörungstriebs stehen. Sie kann ein Fluchtweg vor dem Leben sein. Nur langsam kann die Sexualität eine treibende Kraft für die menschliche Schöpferkraft werden, eng mit dem gesamten Muster von Liebe und Arbeit verknüpft und als Gegensatz zu Haß und Zerstörung. Das ist ein Ziel, auf das wir Sexualerzieher zustreben müssen.« (1973b, S. 137)

* siehe auch die einleitenden Kapitel

1 comment to Dialog über Sex: Distanz gegen Intimität