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Neurobiologie und Psychotherapie: Wo sitzt die Seele?

Es ist aus unserer Sicht – abgesehen von Finanzierungsaspekten – wenig nachvollziehbar, warum einerseits die Pharmakotherapie so intensiv erforscht wird, andererseits jedoch viele Verfahren in der Psychiatrie wie die Ergotherapie, die Bewegungstherapie und insbesondere die „Königsdisziplin“ Psychotherapie, sowohl bezüglich Effektivität als auch Wirkmechanismen seit Jahrzehnten so sträflich vernachlässigt werden…

Georg Juckel und Marc-Andreas Edel
(im Vorwort zu Neurobiologie und Psychotherapie)

Dabei sind evidenzbasierte Wirksamkeitsnachweise von Psychotherapie, aber auch anderer nicht-medikamentöser Therapieverfahren in der Psychiatrie und der ambulanten Versorgung von großem Interesse – nicht zuletzt für die Kostenträger, die wissen wollen, was die eingesetzten Psychotherapie-Verfahren bzw. Therapieansätze einschließlich Ergo- und Bewegungstherapie tatsächlich bewirken.

Dieses Buch möchte wissenschaftliche Anregungen bieten, im deutschsprachigen Raum die neurobiologische Perspektive auf Psychotherapie – einschließlich einzelner Elemente bzw. Schritte – und auf ergänzende oder verwandte Verfahren wie Ergound Bewegungstherapie sowie Feedback- Verfahren zu stärken. Erste Ansätze sind in Deutschland bereits bundesweit in einigen BMBF- bzw. DFG-geförderten Projekten und Projektverbünden zu erkennen.

Zum anderen soll dieses Buch den klinischen Praktiker und den niedergelassenen Psychotherapeuten ansprechen und dazu ermutigen, traditionelles einzel- und gruppenpsychotherapeutisches Handeln in vermeintlich „psychotherapiearmen“ Situationen oder spezifische Kurzinterventionen nicht geringzuschätzen, sondern sich die (teilweise neurobiologisch fassbare) Essenz und Effektivität bestimmter Therapieelemente zu vergegenwärtigen. Das Wissen über neurobiologische Zusammenhänge kann zusätzlich dazu motivieren, das eigene Tun immer konkreter und feiner im Spannungsfeld zwischen neurobiologischen Erkenntnissen und praktischer Psychotherapie auszurichten.

Daher lässt sich das Hauptziel des Buches dahingehend benennen, dass psychotherapeutisches Denken und neurobiologische Erkenntnisse aufeinander bezogen und Entsprechungen, aber auch Divergenzen herausgearbeitet werden sollen. In einer Zeit, in der naturwissenschaftliches Denken im Sinne der Neurobiologie sehr vorherrschend die allgemeine und fachliche Öffentlichkeit bestimmt, aber dennoch viele die Beschränktheit dieses „Diskurses“ sehen, ist es an der Zeit zu versuchen, die mögliche Synergie zwischen den mehr empirisch-statistischen neurobiologischen und den eher kasuistischen therapeutischen Ansätzen zu beschreiben und zu charakterisieren. Darin liegt für beide Seiten eine ungeheure Chance und für den praktisch tätigen Therapeuten ein Erkenntnisgewinn, der seine unmittelbare Arbeit befruchtet und möglicherweise verändern wird. Die mentale Seite und das Modellhafte der Psychotherapie durch harte neurobiologische Messergebnisse von Bildgebung, Neurophysiologie und Genetik sinnvoll abzubilden – hier Entsprechungen im Sinne von Korrespondenzen und Korrelationen aufzuzeigen –, ist der Anspruch des Buches. Kausale Bezüge herzustellen, dürfte gegenwärtig nur in Einzelfällen gelingen.

Nach einem Einführungskapitel zu allgemeinen Gesichtspunkten des Themas, speziell zur Erkenntnistheorie des Verhältnisses von Psyche und Soma sowie zur Studiensituation, folgen Kapitel zu den einzelnen großen psychiatrischen Krankheitsbildern bzw. psychischen Störungsbildern (ICD-10: F00-F99), die jeweils die Aspekte Störungsbild, Neurobiologie, Tiefenpsychologische Psychotherapie und Verhaltenstherapie pro Störungsbild einzeln und in ihrem Bedingungsgefüge abhandeln.

Die grundlegende Idee des Buches ist es, anhand der großen Krankheitsbilder der Psychiatrie und Psychotherapie, der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie sowie der Klinischen Psychologie zu zeigen, wie der gegenwärtige Kenntnisstand bezüglich des Ineinander und Miteinander neurobiologischer Forschung einerseits und von Verhaltenstherapie und psychodynamischen Verfahren andererseits ist. Es soll aber auch verdeutlichen, wo Defizite sind und wo weiterer Forschungsbedarf besteht. Ziel der Kapitel ist es daher, „aus einem Guss“ Aspekte der Neurobiologie und Psychotherapie bezüglich der einzelnen Krankheitsbilder darzustellen. Ziel ist es auch, sowohl die psychodynamischen als auch verhaltenstherapeutischen Vorstellungen zielorientiert und gleichgewichtig zu Wort kommen zu lassen.

Dieses Buch wendet sich an alle am Thema Interessierten, an ärztliche und psychologische Psychotherapeuten, Psychiater, Psychologen, andere Therapeuten wie Soziotherapeuten, Erogtherapeuten, Bewegungstherapeuten usw. sowie interessierte Studenten der entsprechenden Fächer. Als Vorzug des Buches betrachten wir den unmittelbaren Erkenntnisgewinn für jeden im Bereich von Psychiatrie/Psychotherapie Tätigen (Krankhaus, Praxis, Sozialpsychiatrischer Dienst, Beratungsstellen etc.), wie „Hardware“ und „Software“ bei Prozessen beim Patienten und hinsichtlich unseres täglichen Tuns am Patienten zusammenspielen könnten.

Wir danken allen Autoren und Mitstreitern, die sich bereitwillig und neugierig auf das Unterfangen dieses Buches eingelassen haben, und vor allem Herrn Bertram vom Schattauer Verlag für seine Begeisterung für das Projekt und seine Bereitschaft, dieses Buch „zu machen“.

Von Georg Juckel und Marc-Andreas Edel erschien im November 2013 das Buch „Neurobiologie und Psychotherapie: Integration und praktische Anwendung bei psychischen Störungen“ beim Schattauer Verlag (geb. 44.99€).

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