Ohne die Fähigkeit Angst zu empfinden, wäre ein Mensch schutzlos. Sie ist ein sinnvolles Instrument, das uns vor Gefahren schützt. Wenn die Angst jedoch die Kontrolle über unser Leben übernimmt, wird sie zur Krankheit. Davon werden circa 15 Prozent der Deutschen im Laufe ihres Lebens betroffen. Mit therapeutischer Hilfe und Unterstützung aus Homöopathie und Phytotherapie verlieren Ängste ihren Schrecken…
Von Martina Riepold, Heilpraktikerin
Erschienen in: Naturarzt 12/2015
Angstattacken erscheinen oft in harmlosen Alltags-Situationen, sind rational mitunter nicht nachvollziehbar und für die Betreffenden äußerst belastend. Der evolutionsbedingte Schutzmechanismus „Angst“ richtet sich scheinbar plötzlich gegen den eigenen Körper und die Seele und macht den Menschen zum Sklaven imaginärer Bedrohungen.
Dabei gibt es vielfältige Krankheitsbilder aus dem Angstspektrum – von Agoraphobie (Angst vor offenen Plätzen) über Hypochondrie (Krankheitsangst) oder Zoophobie (Angst vor Tieren) bis hin zur generalisierten Angststörung. Viele auslösende Umstände, unter denen Menschen mit Angst und Panik reagieren, werden im Laufe des Lebens erlernt. Ein erschreckendes Erlebnis oder auch überängstliche Reaktionen der Mutter während der Kindheit können dazu führen, dass später ähnliche Situationen Panik hervorrufen. Dabei wirkt die Angst nicht nur auf seelischer Ebene, sondern ruft auch heftige körperliche Reaktionen hervor. Diese Angstreaktionen sind durchaus sinnvoll, nämlich dann, wenn tatsächlich Gefahr droht, und der Körper entweder fliehen oder kämpfen muss. Die entsprechenden Körperreaktionen werden durch das autonome Nervensystem gesteuert. Bei Auftreten des Stressors kommt es zu einer Hormonausschüttung von Kortisol, Adrenalin und Noradrenalin, die dafür sorgen, dass der Körper kurzfristig in höchste Alarmbereitschaft versetzt wird und schnell mit Angriff oder Flucht reagieren kann:
- Herzschlag und Blutdruck erhöhen sich,
- die Skelettmuskulatur spannt sich an,
- Blutzucker wird ausgeschüttet um Energie bereitzustellen,
- die Bronchien erweitern sich, um möglichst viel Sauerstoff aufnehmen zu können,
- die Verdauungsfunktion wird gehemmt.
Die maximale Alarmstufe wird allerdings automatisch nach einigen Minuten heruntergefahren, so dass der Körper wieder in den Normalzustand zurückgeführt wird. Diese Reaktionen laufen autonom ab und sind nicht beeinflussbar.
Bei allen als stark bedrohlich eingestuften Situationen werden die oben genannten psychovegetativen Prozesse ausgelöst, die sich dann durch vielfältige körperliche Symptome äußern können, wie z. B. Schweißausbrüche, Herzrasen, Zittern, Schwindelgefühle oder Hyperventilation mit dem Gefühl, gleich ohnmächtig zu werden oder „tot umzufallen“. Nun stellt sich die Frage, warum erkranken manche Menschen an Angststörungen oder Panikattacken und andere nicht?
Überfordertes Nervensystem schafft Raum für Ängste
Die Ursachen dieser Erkrankungen sind vielfältig, und meist spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Chronische und lang andauernde Belastungen können zu einer „Überforderung“ des autonomen Nervensystems führen und dieses aus dem Gleichgewicht bringen. Fehlen dann entsprechende Erholungs- und Entspannungsphasen kann sich das System nicht mehr regulieren. Dadurch kommt es in bestimmten Situationen zu einem so hohen Anstieg der Erregung, dass dies als Angstereignis erlebt wird.
Dazu ein Beispiel aus der Praxis: Frau Aleksandra F., verheiratet, ein fünfjähriger Sohn, arbeitete als Altenpflegerin in Vollzeit. Nach dem frühen Tod der Eltern spielte die inzwischen pflegebedürftige Großmutter eine wichtige Rolle im Leben der schüchtern und zurückhaltend wirkenden Frau. Die Arbeit im Seniorenheim beschrieb sie als sehr belastend und anstrengend. Einige Zeit bevor Frau F. meine Praxis aufsuchte, verstarb ihre Großmutter plötzlich an einem Schlaganfall. Kurz danach traten bei Frau F. Angstattacken mit Schwindelgefühlen und Herzrasen auf. Sie war nicht mehr in der Lage, selbstständig Auto zu fahren. Die ständige Überforderung durch die Vollzeittätigkeit, die Pflege der Großmutter und die Verantwortung für den kleinen Sohn verursachten bei der Patientin eine extrem hohe Dauerbelastung. Auslösend für die Angsterkrankung war dann letztendlich der überraschende Tod der Großmutter als wichtige Bezugsperson.
Auch eine negative Erfahrung kann eine Angsterkrankung oder Phobie verursachen: ein Hundebiss, der zu einer Hundephobie oder ein steckengebliebener Fahrstuhl, der zu einer Klaustrophobie (Angst in engen Räumen) führt.
Vorsicht Spirale: Wie die Angst vor der Angst entsteht
Die Angst wird dann zu einem Problem, wenn die Betroffenen in eine Spirale geraten. Durch die Erfahrung der enormen Stressreaktion in einer bestimmten Situation neigen sie dazu, diese Situation zu meiden. Je mehr und je öfter sie diese meiden, umso angstbesetzter wird sie. Bald löst schon allein der Gedanke daran massives Unwohlsein aus – es entsteht die Angst vor der Angst. Immer stärker und intensiver wird die Wahrnehmung der körperlichen Symptome, Katastrophengedanken entstehen, die nicht mehr zu kontrollieren sind. Dabei ist den Betroffenen durchaus bewusst, dass ihre Angst irrational und nicht angemessen ist. Sie fühlen sich ausgeliefert, und ihr Selbstbewusstsein leidet durch die verzweifelten und erfolglosen Versuche gegen die Angst anzukämpfen. Es entsteht ein hoher Leidensdruck.
Wie kann dieser Teufelskreis unterbrochen werden? Sinnvoll ist zunächst das Erlernen von Entspannungsverfahren wie z. B. Autogenes Training oder progressive Muskelentspannung nach Jacobson. Auch Yoga oder Qi Gong können helfen: Durch langsame Bewegungs-, Meditations- und Atemübungen setzt man das Anspannungsniveau herab, kommt wieder zur Ruhe und entlastet so das vegetative Nervensystem. Auch wenn es paradox klingt: man sollte versuchen, die Angst anzunehmen und nicht gegen sie ankämpfen. Ängste sind bewährte Strategien des menschlichen Körpers, um Gefahrensituationen sinnvoll zu begegnen und haben der menschlichen Spezies bis heute das Überleben gesichert.
Gewöhnungsprozess hilft Ängste aufzulösen
Als wichtigste Maßnahme gilt, sich den stressvollen Situationen immer wieder auszusetzen. Auf diese Weise tritt nach und nach ein Gewöhnungsprozess ein – die Angst vor der Angst schwindet. Während der Attacke hilft es, die Aufmerksamkeit auf die Atmung und nicht auf die vermeintliche „Katastrophe“ zu richten, dabei tief ein- und langsam ausatmen: beim Einatmen bis drei zählen, beim Ausatmen bis vier – solange, bis die Anspannung sinkt. Die Angst bleibt immer nur für einen kurzen Zeitrahmen bestehen (Sekunden bis wenige Minuten) und verschwindet dann von selbst wieder.
Weitere Hilfe bieten unter anderem die Homöopathie und die Phytotherapie. Aus der Homöopathie stehen verschiedene Mittel zur Verfügung, die angstmildernd wirken können. Beispielsweise gibt man Aconitum bei extremer Angst bis Todesangst und trockenem Mund, Argentum nitricum bei starker Angst mit Schwindel und Zittern. Bewährt hat sich auch das Komplexmittel Dysto-Loges® mit den homöopathisch aufgearbeiteten Inhaltsstoffen Passionsblume, Coffea und Gelsemicum. Angstlösende Wirkstoffe der Phytotherapie sind Lavendelöl (z. B. Lasea®) oder Passionsblume wie (z. B. Lioran® oder Passidon®).
Auch die Akupunktur hat sich bewährt: Bestimmte Punkte auf den Körpermeridianen (wie z. B. Du 20, Ex-HN 1, He 7, Pe 5) können das vegetative Nervensystem beeinflussen und unterstützen die Wiederherstellung des psychischen Gleichgewichts.
Die Schulmedizin arbeitet mit Antidepressiva („SSRI“) und Benzodiazepinen, die beruhigend und angstlösend wirken (z. B. Lorazepam). Allerdings erzeugen Benzodiazepine schnell eine Abhängigkeit. Eine kurzfristige Therapie mit diesen Mitteln ist bei schweren Angstzuständen unter Umständen jedoch angezeigt.
Wer durch Ängste im Alltag eingeschränkt und somit einem hohen Leidensdruck ausgesetzt ist, profitiert von einer Psychotherapie. Angst entsteht im Kopf und kann daher auch nur dort überwunden werden. Die Verhaltenstherapie arbeitet unter anderem mit einer systematischen Desensibilisierung. Das bedeutet, dass man langsam und in kleinen Schritten an die angstauslösenden Situationen herangeführt und gewöhnt wird.
Auch Hypnose-Therapie hat sich als sehr effektiv erwiesen. Mit Hypnose können durch Bilder und Imaginationen Erfahrungen verändert und dadurch Ängste aufgelöst werden. So konnte eine Spinnenphobie innerhalb weniger Sitzungen so bearbeitet werden, dass die junge Patientin eine lebende Spinne auf ihrer Handfläche gelassen tolerierte.
Angsterkrankungen sind belastend und nehmen den Menschen ein Stück Lebensqualität. Daher ist es wichtig, sich rechtzeitig Hilfe zu holen, damit die Angst ihre Macht über den Alltag verliert und wieder zu dem wird, was sie ursprünglich war – eine hilfreiche Verbündete im Umgang mit realen Gefahren.
Martina Riepold, Jahrgang 1959, nach Pädagogikstudium und langjähriger Tätigkeit in der Erwachsenenbildung Ausbildung zur Heilpraktikerin. Seit 2008 niedergelassen in eigener Praxis bei München mit den Schwerpunkten Akupunktur, Psychotherapie und Hypnose. Sie ist Dozentin für Entspannungsverfahren.
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